Rainer Maria Rilke
Rainer Maria Rilke hatte eine besondere Beziehung zum Wallis und auch zur hiesigen Glockenkultur. So hat er im Band "Die Walliser Vierzeiler" 3 Gedichte den singenden Glockentürmen gewidmet:
Nr. 12 - Der Glockenturm singt
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Der Glockenturm singt:
Besser als jeder weltliche Turm
befeuere ich mich, damit mein Glockenspiel reife,
damit es süß sei, damit es gut sei, damit es wie im Sturm
die Walliserinnen ergreife.
An jedem Sonntag lass ich Klang für Klang
wie Manna auf sie niederregnen.
Damit er gut sei, meines Glockenspiels Gesang,
die Walliserinnen zu segnen.
Damit es süß sei, damit es gut sei,
sammeln Samstagabend sich in den Schenken drinnen
wie Tropfen die Töne meines Glockenspiels
für die Walliser der Walliserinnen.
Nr. 4 - Uraltes Land
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Uraltes Land mit Türmen, die beharren,
solange die Glockenspiele ertönen -,
mit Blicken, die, ohne in Trauer zu erstarren,
traurig den uralten Schatten frönen.
Reben, in denen sich so viele Kräfte vernichten,
wenn die schreckliche Sonne sie golden verbrennt . . .
Und in der Ferne diese Räume, die lichten,
wie eine Zukunft, die keiner kennt.
Nr. 8 - O Seligkeit des Sommers
8
O Seligkeit des Sommers: das Glockenspiel klingt,
klingt, denn der Sonntag ist in Sicht;
die schuftende Hitze riecht nach Absinth
rund um die lockige Rebe im Licht.
Trotz der Benommenheit wallen die tönenden Wellen
entlang der Wege unbeirrt.
In dieser unverfälschten Gegend, ihren Kräften, den hellen,
ist dies so sicher, wie es Sonntag wird!
Die Walliser Vierzeiler
Im Spätsommer 1924 entstand in französischer Sprache der Zyklus der Quatrains Valaisans, der Walliser Vierzeiler.
In ihrer Übertragung realisieren Gerhard Falkner und Nora Matocza den konsequenten Endreim des Originals erstmals auch in deutscher Sprache.
Verlag: Insel Verlag
Seitenzahl: 55
Erscheinungstermin: 9. September 2019
Deutsch, Französisch
Abmessung: 185mm x 118mm x 10mm
Gewicht: 114g
ISBN: 978-3-458-19475-0